2. Chemnitzer Turm-Open 22.08.-30.08.1998
Partiesplitter
eine Nachbetrachtung von Günter Sobeck
Natürlich ist es kurz nach dem Turnier unmöglich, eine
schachliche Auswertung der weit über 400 gespielten Partien
vorzunehmen. Da ich selbst in den unteren Regionen herumpatzte, gelang
es mir nur selten, einen Schnappschuß von den Spitzenbrettern zu
erhaschen. Nicht nur dort gab es Interessantes zu beobachten, wie ich
dem ausgezeichneten Bulletin von Birgit Schuster
entnehme konnte:
Der Sieger
Mikhail Golubev (Foto: Gärtner) startete unglücklich in das
Turnier. Bereits in der 3. Runde mußte er gegen Roman Sichinava
die Segel streichen (Diagramm):
Schwarz besitzt eine schöne Angriffstellung. Golubev spielte
nun 30... Dxg4(?) und verlor. Fritz2 errechnete 30... Dh1+! 31.Kf2
Th2+ 32.Ke3 d5 33.cxd5 Sxd5+ 34.Kd2 Df3 35.Dd1 De3+ 36.Kc2 Txe2+ 37.Kb3
Df3 38.Ta1 Se3 39.Dc1 Sc2 40.Ta7 Dd3+ 41.Sc3 Sd4+ und Weiß
kann aufgeben. Die gesamte Partie finden Sie im
Partienteil.
Nach dieser unnötigen Niederlage war der Ukrainer besonders
motiviert. Ein Angriffsfeuerwerk brannte er gegen den Geraer Birger
Watzke ab (Diagramm):
Ich kam gerade an sein Brett, als er 1.Sb6! aus dem
Hut zauberte. Es gewann auch das prosaische 1.Th7+ Ke7 2.Dg5+ Kd7 3.Txf7+
Te7 4.Sb6+ Kc7 5.Sxa8+ usw. 1... e5 (1... Dxb6 2.Th7+ Ke7 3.Dg5+ Kd7
4.Txf7+ Te7 5.Dxe7 matt) 2.Th7+ Schwarz gab auf.
Die turnierentscheidende Kombination gelang ihm dann in der
Vorschlußrunde (Diagramm):
Van der Weide - Golubev
1... Txb2+!! 2.Kxb2 Dc3+ 3.Kb1 Txa3 - und der
Holländer gab sich geschlagen.
Der Sensationszweite
Karel van der Weide, der Überraschungszweite des Vorjahres, hatte
Verstärkung aus Holland mitgebracht: IM Jeroen Bosch ist
bekannt durch seine Bundesligaeinsätze für Bochum. Aber wer
kannte Edwin van Haastert oder Harmen Jonkman? Letzterem
gelang die Sensation. Der 23jährige FIDE-Meister lehrte der
Konkurrenz das Fürchten.
Nachdem er "planmäßig" in der 3. Runde (eine Parallele zum
Turniersieger!) gegen Eduard Meduna verloren hatte, verlieh ihm
der Sieg gegen Wolfgang Uhlmann
Flügel.
Er lieferte die spektakulärste Partie des Turniers (Diagramm):
Jonkman - Espig
Schwarz ist total überspielt. Mit seinem letzten Zug Sg7-h5
hoffte der für Plauen spielende Großmeister auf eine
Verschnaufpause, aber die Keule 1.Dxh7+!! entschied sofort.
1... Kxh7 2.Txh5+ Lh6 3.Lf6!! Nun ist Schwarz völlig
hilflos. 3... Th8 4.Txh6+!! Der letzte Paukenschlag, nach dem
Schwarz die Waffen streckte. Er wird nach 4. ...Kxh6 5.Td3! unweigerlich
mattgesetzt.
In der letzten Runde schließlich feierte der junge Mann noch einen
Sieg über Bosch in einem dramatischen Zeitnotduell.
Die Zufriedenen
Neben den beiden Überragenden, die übrigens nicht gegeneinander
spielten, werden sicher alle Preisträger mehr oder weniger mit ihren
erzielten 6,5 Punkten zufrieden sein..
Ohne Niederlage blieben nur der Drittplazierte Gennadi
Timoshchenko, Mathias Womacka und Kaido Kulaots. Alle
anderen mußten einmal in den sauren Apfel der Niederlage
beißen.
Meduna - Haba
Ein Mißgeschick unterlief hier Eduard Meduna, als er
(wahrscheinlich in Zeitnot) fehlgriff. 1.h4? Sxb4! kostete einen
wertvollen Bauern und später die Partie.
Fischer - Alienkin
Für Weiß scheint es ganz gut auszusehen, aber 1... Db2+!!
2.Txb2 cxb2+ veranlaßte den Kirchheimer Thorsten
Fischer, die Gegenwehr einzustellen.
Der titellose Edwin van Haastert erzielte ebenso wie sein Landsmann
Harmen Jonkman eine IM-Norm.
Die Enttäuschten
Wolfgang Uhlmann kam mit dem frischen Lorbeer seines Triumphes im
Dresdner Open.
Die Niederlage gegen Jonkman
warf ihn aus der Bahn.
Müller,P - Uhlmann
In der
Partie folgte 1... Se3+
mit späterem Remis. Beide Spieler hatten den Knaller 1... Txb2!,
den ein Kiebitz bei der nachträglichen Analyse entdeckte,
übersehen. Nach 2.Lxb2 Se3+ 3.Kg1 Sxd1 kann Weiß aufgeben.
Lothar Vogt lag lange Zeit an der Spitze.
Vogt - Alienkin
Weiß hatte auf d5 einen Bauern ins Geschäft gesteckt, um
diese Position zu bekommen. Aber das positionelle Damenpfer 1...
Lxg2! brachte Schwarz auf die Siegerstraße. Es folgte
2.Txd6 cxd6 3.Th2 Le4+ 4.Ka1 Sg4 5.f4 Sxh2 6.Dxh2 Le7 7.Sd2 d5
und Weiß gab im 41. Zug auf. Siehe
Partienteil.
Karel van der Weide kam nur schwer in Tritt. Seine Gegner waren ob
seines zweiten Platzes vom Vorjahr und seiner ELO-Steigerung von 115
Punkten(!) gegenüber dem Vorjahr gewarnt. Als er endlich wieder
Tuchfühlung zur Spitze erhielt, verlor er in den beiden letzten Runden.
Zigurds Lanka hatte man ganz vorn erwartet. Drei Punkteteilungen
in den ersten 5 Runden, dann die
Niederlage gegen Gerd Lorenz.
Da halfen auch drei abschließende Siege nicht mehr. Der sympathische
Lette erzielte nur 50% mit den schwarzen Steinen.
Lanka - Joachim
1.c6+! Schwarz gab auf.
Zu den Unzufriedenen muß man auch Lutz Espig zählen.
Sein Schicksal entschied sich in der 7. Runde, als er Jonkman
unterlag.
Der Niederländer Jeroen Bosch hatte einen Fehlstart
(Niederlage gegen Denis Wiegner
- ELO 2150) und kam danach nie mehr in Fahrt.
Es war auch nicht das Turnier von Großmeisterin Maja
Lomineishvili. Ihr Traum, eine GM-Norm bei den Männern zu
erfüllen, wurde schon in der 3. Runde nach der
Niederlage gegen Sven Joachim
zur Seifenblase.
Die Lokalmatadoren
Die USG Chemnitz brachte diesmal nur 10 Teilnehmer (im Vorjahr 20) auf
die Beine. Herbe Kritik geht an die Adresse der Spitzenspieler, denn nur
Mathias Womacka und Gerd Lorenz stellten sich dem Kampf!
Mathias Womacka agierte gewohnt sicher und blieb wie im Vorjahr
unbesiegt! Seinem Start mit 3,5 aus 4 folgten vier Remisen und ein
Schlußrundensieg, der ihn Rang 6 bringt.
Womacka - Alienkin
1... Sxd4? Der Russe will zuviel und wird bestraft. 2.Lc3 Ke5
3.Kf2 h5 4.Ke3 Ta4 5.Te8+ Le6 6.Lxd4+ Txd4 7.Txe6+ Kxe6 8.Kxd4 b6
9.Lxd5+ Ke7 10.cxb6 Kd7 11.b7 Kc7 12.Kc3 1:0
Gerd Lorenz spielt ein durchwachsenes Turnier. Niederlage gegen
Lutz Espig in der 4. Runde. Dann schlägt er Großmeister
Zigurds Lanka (Diagramm):
Lorenz,G. - Lanka
1.Tc8! Txc8 2.Dxd7 Tc6 3.Dxb7 Tb6 4.Dc8+ Kh7 5.Lc5 Txb3 6.Dxe6
Schwarz gab auf.
Leider bekam er keinen Großmeister mehr zugelost...
Anerkennend äußerte sich Gerd über die Leistung von
Kaido Kulaots, der ihn mit drei unerwarteten Damenzügen
konfrontierte (siehe
Partienteil).
Der Chemnitzer Alfred Pfeiffer (USG) beeindruckte mit seinem auch
theoretisch interessantem Kurzsieg gegen FM Wolfgang Gerstner
(Karlsruhe):
Gerstner - Pfeiffer
1.d4 Sf6 2.Lg5 Gerstner hat ein Buch über den hiermit
eingeleiteten Trompowsky-Angriff geschrieben! 2... Se4 3.Lf4 g5 4.Le5
Tg8 5.Dd3 f5!? 6.Dh3 d6 7.Dxh7 Le6 8.f3 (Diagramm)
8. ...Sf2! 9.Kxf2 dxe5 10.d5 Dxd5 11.e3 Sd7 12.c4 Dd1 und
Weiß gab auf.
Insgesamt spielte Alfred jedoch im Turnier zu unausgeglichen. Am Ende
erzielte er 5 Punkte.
Positiv zu erwähnen sind die Chemnitzer CSC-Aufbau'95-Spieler
Peter Müller und David Möller, die ihre jeweils
5 Punkte gegen starke Gegnerschaft holten.
Streiflichter
Zum Schluß möchte ich noch einen Streifzug kreuz und quer
durch das Open unternehmen.
Kroll - Jänig
Schwarz hatte in diese Stellung abgewickelt, aber 1.Se6!! zwang
ihn zur sofortigen Aufgabe.
Zimmermann - Isele
1... e6? war ein arger Lapsus. 2.Sd5! Da4 3.Lb5+! Dxb5
4.Sxc7+ usw. bedeutete für Schwarz das Aus.
Thalwitzer - Roth,M
1... Sxf2! entschied sofort 2.Txf2 Df3 3.Sa3 Dxg3+ 4.Kf1 Dxf2+
5.Dxf2 Lxf2 0:1
Bakhtadze - Landgraf
1.Sf5! zielte auf die Verwundbarkeit der schwarzen Dame. Der
sächsische Seniorenmeister, der ein starkes Turnier spielte, konnte
seine Königin retten, aber um den Preis einer verlorenen Stellung.
1... Sxf5 2.exf5 h5 3.g3 Dh6 4.fxg6 f5 5.dxe5 Dxg6 6.exd6 Dxd6
7.Lc4+ Kh8 8.Dxd6 und 1:0 im 28. Zug.
GM Lothar Vogt zeigte in der letzten Runde taktisches Geschick
Hess - Vogt
1... Sf4! 2.gxf4 exf4 3.Lc1 f3 4.Ld3 Dh4! 4.Se4 Lf5 und
Weiß gab sich geschlagen.
Gehmlich - Walz
Sorglos spielte Weiß hier 1.Ld7?? Nun war die Sternstunde
für "Eddie" gekommen: 1... Df3!! und gegen die Drohung
Tf8-h8-h1 gibt es keine Parade. Es folgte noch 2.Db2 Sd4 3.Lh3
Se2+ 4.Kh2 Dxf2+ 0:1
Nachwuchsspieler Mathias Heinrich vom SC Leipzig-Gohlis,
erspielte sich eine ELO-Halbzahl von 2340! Eine Kostprobe seines
Könnens aus der 4. Runde (Diagramm):
Heinrich - Lorenz,Sascha
1.Td7! Lg5 2.Txf7 Lxh6 3.Txb7 e4 4.Tb6 Tc8 5.fxe4 1:0
Gerstner - Nobis
Martina Nobis von den Rodewischer Schachmiezen mußte nach
1.Dxg5!! sofort das Handtuch werfen.
Am Turnier beteiligten sich 7 Frauen bzw. Mädchen.
Erstellt von Alfred Pfeiffer, September 1998.